Falsche Ausgewogenheit, überspitze Darstellung. Ein Fernsehmoderator sagt: „Heute reden wir mit einer Wissenschaftlerin über das Sonnensystem. Damit ihre Meinung nicht so alleine im Raum steht, haben wir ein Mitglied der Flat Earth Society eingeladen.“

›False Balancing‹ – Meinungen sind frei – aber nicht gleichwertig

Falsche Aus­ge­wogen­heit – False Bal­anc­ing oder both­sidesism – beschreibt das Phänomen der medi­alen Verz­er­rung, bei dem der Darstel­lung ein­er Min­der­heit­en­mei­n­ung oder von Außenseiter*innen überge­bührlich viel Raum gegeben eingeräumt wird und damit den fälschlichen Ein­druck ein­er Gle­ich­w­er­tigkeit der Min­der­heit­en­mei­n­ung und der Kon­sens­mei­n­ung erzeugt.

Nachhaltigkeitsthemen als Opfer

Beson­ders in gesellschaftlichen Diskursen, in denen die wis­senschaftlich fundierte, fak­ten­basierte Mei­n­ung ein­er in Teil­grup­pen der Gesellschaft pop­ulären Mei­n­ung gegenüber­ste­ht, wird z.B. Talk­shows oder Pro-und-Kon­tra-For­mat­en die wis­senschaftliche Mehrheitsmei­n­ung in einen 1:1‑Diskurs mit der Min­der­heit­en­mei­n­ung behan­delt. So entste­ht – gewollt oder unge­wollt – ein falsch­er Ein­druck der Mehrheitsmei­n­ung bzw. der Fak­ten­lage.

Aber auch die Quan­tität der Berichter­stat­tung kann zu ein­er false bal­ance führen. Dies machen sich beson­ders pop­ulis­tis­che Strö­mungen zu nutze, indem sie ver­suchen medi­ale Aufmerk­samkeit zu gener­ieren, um gesellschaftlich abseit­ige Mei­n­un­gen als Gegen­po­si­tion zur Mehrheitsmei­n­ung oder dem wis­senschaftlichen Kon­sens aufzuw­erten.

Dafür gibt es zahlre­iche Beispiele:

  • Kli­mawan­delleug­nung und Dringlichkeit des Han­delns
    Hier ist es beson­ders deut­lich, da in der Wis­senschaft fast 99% Kon­sens herrscht2. Trotz­dem herrscht in der Gesellschaft und auch bei eini­gen Spitzenpolitiker*innen noch immer der Ein­druck, es sei eine wis­senschaftlich begründ­bare Mei­n­ung, den antro­po­ge­nen Kli­mawan­del oder zumin­d­est die notwendi­gen Hand­lungs­felder in Frage zu stellen.
  • bren­nende Elek­troau­tos
    Jährlich bren­nen 40.000 Pkw, zumeist Ver­bren­ner. Trotz­dem ste­ht das bat­terieelek­trische Auto beson­ders im Fokus, obwohl diese Antrieb­s­form mit 0,03% weit weniger als Ver­bren­ner (1,5%) und Hybride (3,5$%)3 im Ver­hält­nis zur Gesamtzu­las­sung (2021) rel­a­tiv und abso­lut am sel­tensten bren­nt. Weil E‑Autos aber neu sind und bekan­nte Gewohn­heit­en sich durch diese ändern, wird durch die über­mäßig häu­fige Berichter­stat­tung ein vol­lkom­men falsches Bild ver­mit­telt.
  • Gefahr von PV-Däch­ern und defek­ten Winden­ergiean­la­gen
    Noch vor weni­gen Jahren bis zum Beginn der Energiekrise wurde inten­siv und über­re­gion­al von regionalen Brän­den bei Däch­ern mit PV-Anla­gen oder gele­gentlichen Flügel­brüchen von Win­drädern berichtet, während übliche Haus­brände, verur­sacht durch altherge­brachte Energieerzeu­gungs- und Heizungsan­la­gen sel­ten über­re­gion­al besprochen wur­den. Damit ent­stand der Ein­druck der Gefährlichkeit erneuer­bar­er Energien, der sta­tis­tisch nicht beleg­bar ist.
  • Vorge­blich­er Durch­bruch des Fus­sion­sreak­tors
    Obwohl er in der Energieerzeu­gung auf Jahrzehnte nicht ver­füg­bar sein wird, wird der Fus­sion­sreak­tor medi­al häu­fig besprochen und als Alter­na­tive zu erneuer­baren Energien the­ma­tisiert. Die Mehrheitsmei­n­ung liegt hier klar bei der Pri­or­ität der Erneuer­baren als zeit­na­he Lösung von Energie- und Kli­makrise, die Min­der­heit­en­mei­n­ung set­zt auf noch zu entwick­el­nde zukün­ftige Tech­nolo­gien wie den Fus­sion­sreak­tor.
  • Ange­blich­er Siegeszug von Wasser­stoff für den Antrieb von Land­fahrzeu­gen
    Auch hier klaf­fen Real­ität und The­o­rie hart auseinan­der. Bat­terieelek­trische Antrieb­ssys­teme haben eine etwa dreifach höhere Effizienz im Ver­gle­ich zur Brennstof­fzelle mit grü­nen Wasser­stoff. Obwohl die Absatz­zahlen im Ver­gle­ich zum Elek­troau­to um etwa den Fak­tor 1.000 auseinan­der liegen, wird über sie beson­ders häu­fig berichtet, beson­ders durch Medi­en­häuser, die eher werbliche als jour­nal­is­tis­che Ziele ver­fol­gen.

Problem der Bubbles

Die Blasen­bil­dung in sozialen Medi­en stellt für die öffentliche Mei­n­ungs­bil­dung eine beson­dere Her­aus­forderung dar. Falsche Aus­ge­wogen­heit in ›Qual­itätsme­di­en‹ wird durch sie noch ver­stärkt, so dass ein vol­lkom­men verz­er­rtes Bild der Real­ität entste­ht, dass zur Entwissenschaftlichung der gesellschaftlichen Debat­te und damit zur Spal­tung zwis­chen evi­denzbasiert adressier­baren und desin­formierten Gesellschaftss­chicht­en führt.

False Balance als Mittel der Propaganda

Bei den meis­ten Nach­haltigkeit­s­the­men ist False Bal­anc­ing das Ergeb­nis von bewußten Diskursver­schiebun­gen zur Manip­u­la­tion der öffentlichen Mei­n­ung. Dies wird ins­beson­dere deut­lich, wenn ein klein­er Kreis von Meinungsbildner*innen immer wieder als Gegen­mei­n­ung herange­zo­gen und das The­ma nur von weni­gen oft nicht-jour­nal­is­tisch arbei­t­en­den Medi­en­häusern ins­beson­dere in den sozialen Medi­en dauer­haft platziert wird.

Damit ist false bal­anc­ing häu­fig die Meth­ode der Wahl, um Zweifel zu sehen und den Sta­tus Quo noch länger fortzuschreiben. Die wis­senschaftlich unstrit­tige Kli­makatas­tro­phe anzuerken­nen wird hinge­gen bedeuten, Pri­or­itäten in der Poli­tik und Gesellschaft neu zu set­zen. Elek­troau­tos stellen zwar noch keine Verkehr­swende da, gefährden Ertragsmod­elle und Ver­sorgungsmono­pole – eben­so wie die dezen­trale Energiewende – ins­beson­dere der Fos­silen Indus­trien und stellen bish­erige auch bish­er nation­al gegebene Tech­nolo­gieführerschaften in Frage.

Falsche Aus­ge­wogen­heit zu erken­nen und zu ver­mei­den ist deshalb wichtig, um diesen teils unbe­wußten, häu­fig aber bewußt manip­u­la­tiv­en Debat­ten­ver­schiebun­gen zur Ver­hin­derung von gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verän­derun­gen ent­ge­gen­zuwirken.


Quellen

  1. Wikipedia zur Falschen Aus­ge­wogen­heit (›False Bal­ance‹)
  2. Wikipedia zur Leug­nung des antro­po­ge­nen Kli­mawan­dels
  3. Autozeitung zur Brand­sta­tis­tik von Autos

Kar­rikatur: Wikipedia-Artikel zur falschen Aus­ge­wogen­heit ©CC BY-SA 3.0